Logotherapie

                                                                                            

entwickelt von Victor E. Frankl (1905 - 1997)

 

 

 

Das Wort "Logos" bedeutet "Sinn". Die Logotherapie ist eine sinnzentrierte Psychotherapie. Ihre Motivationstheorie geht von der Hypothese aus, dass der Mensch ein Wesen auf der Suche nach Sinn ist. Durch gewisse gegenwärtige Faktoren seines Umfeldes wird sein "Wille zum Sinn" manchmal frustriert. Daraus kann ein "Sinnlosigkeitsgefühl" resultieren. Die Logotherapie geht der Frage nach, wie es der Mensch zustande bringen kann, Sinn zu finden. Dank logotherapeutischer Forschung zeigt sich immer wieder, dass es keine Situation gibt, die nicht letzten Endes doch eine Sinnmöglichkeit bietet.

 

Die Logotherapie besteht aus Richtlinien der Improvisationskunst. Ihr pädagogisches Element ist die Erziehung zur Verantwortung. Sie gibt Hilfen zur Entwicklung einer Friedensfähigkeit. Ihre Gesprächstechnik ist dem sokratischen Dialog ähnlich. Der Dialog besteht aus gezielten Fragen und Argumenten. Er beinhaltet also einen Spielraum zwischen direktiv und nondirektiv. In diesem Dialog geht es immer darum, den Sinn zu erfahren.

 

Victor E. Frankl entwickelte die Logotherapie in den 30er Jahren. Er überlebte vier Konzentrationslager. Frankl war Arzt an der Abteilung für depressive Frauen (Selbstmörderpavillion) in Steinhof. Er suchte dort die Vorgeschichte (Anamnese) seiner Patientinnen und kam auf die Idee, im Vergleich zu seinen Patientinnen eine Kontrollgruppe zu untersuchen. Die Kontrollgruppe bestand aus gesunden Menschen, die ohne fremde Hilfe ihr Leben meistern konnten. Bei diesem Versuch bemerkte er, dass unter den gesunden genau so viele Traumata vorhanden waren, wie bei den kranken Menschen und folgerte daraus, nicht mehr zu fragen, warum jemand krank geworden ist, sondern zu fragen, warum jemand gesund bleibt.

 

- Was sind die Gründe, die gesund erhalten?
- Was sind Schutzfaktoren?
- Was lässt sie ihr Leben gelingen oder wieder gelingen?
- Was lässt sie seelisch gesund bleiben?

 

Er fand die Antwort auf seine Fragen - es ist der Wille zum Sinn. Wenn sich Menschen sinnvoll einbringen können und auch in ihrem Leid einen Sinn finden können, dann können sie auch gesund werden.

 

 

Menschenbild

 

Frankl sah den Menschen in 3 Dimensionen:
- Körperliche Dimension, die wir mit Pflanzen und Tieren teilen,
- Psychische Dimension (=Gefühle), die wir mit den Tieren teilen,
- Geistige Dimension, die typisch für den Mensch allein ist.

 

Die geistige Dimension ist die spezifisch menschliche, weil sie aus der Freiheit zu entscheiden besteht, die die Tiere nicht haben, weil sie mehr instinktgesteuert sind, weil sich die Fragen nach gut und böse, Fragen nach Verantwortung kein Tier stellt. Das Geistige im Menschen weiß, dass er einzigartig ist.

 

Die geistige Dimension beinhaltet die
- Stellung nehmende Instanz
- bewertende Instanz
- entscheidende Instanz
- personale Instanz (Einzigartigkeit: Jeder macht etwas anderes draus.)

 

Sie ist das Selbstgestaltungspotential, das jeder Mensch besitzt. Sie ist die innere Stimme, die uns den Weg für das Bestmögliche und Sinnvollste weist. Sie ist unser Gewissen. Mit ihrer bewertenden Instanz können wir auf Sinnsuche gehen, in unserer Sehnsucht nach dem Guten, nach dem Gelingen, nach Ideal, nach dem Liebevollen.

 

Die bewertende Instanz wirkt wie ein Kompass (Gewissen).

 

In schwierigen Situationen oder wenn wir zu sehr fremdbestimmt sind, hören wir diese innere Stimme oft nicht. Frankls therapeutisches System ist es, diese geistige (=noetische) Ebene anzuzapfen, das spezifisch Menschliche zu bergen und in die Höhe zu heben.

 

 

 

Grundmodell - Anwendung in Variationen

 

Frankl sieht die jeweilige Lebenssituation in 2 Teilen:
- Schicksalhafter Bereich
- Persönlicher Freiraum

 

Wobei der schicksalhafte Bereich mit der Vorgeschichte des jeweiligen Menschen zu tun hat, mit früher. Man kann, was die Vergangenheit betrifft, nicht wählen, wie z.B. das Alter, das Geschlecht, den körperlichen gegenwärtigen Zustand, die gegenwärtigen psychischen Zustände (Emotionen und Gedanken). Der schicksalhafte Bereich besteht also aus der gesamten Lebensvergangenheit, dem gegenwärtigen Körperzustand und der gegenwärtigen Umwelt. Er ist an Wahlmöglichkeiten leer.

 

Der persönliche Freiraum ist der Bereich, den eine Person in einer bestimmten Situation hat. Er ist reich an Wahlmöglichkeiten. Dieser Bereich kann sich vorübergehend schließen und kann sich auch wieder öffnen, wie z.B. beim Schlafengehen oder bei hohem Alkoholkonsum. Im Augenblick des Todes schließt er sich endgültig. Die Wahlmöglichkeiten bestehen aus Handlungen und deren Haltungen.

 

Menschen müssen ständig wählen, wie sie sich in einer bestimmten Situation verhalten werden bzw. sich entscheiden werden (Wahlzwang). Die für die Situation abgewählten Möglichkeiten, erscheinen in einer anderen Situation vielleicht wieder. Sie sitzen aber auch in einem Risikofeld, in dem sie verschwinden können. Wenn wir z.B. die Wahl, ein Kind zu bekommen, betrachten, so hat man die Möglichkeit bis zu einem gewissen Alter, aber irgendwann wird man zu alt sein, um noch ein Kind bekommen zu können. Diese Wahlmöglichkeit verschwindet dann. Durch die Verwirklichung einer Wahl eröffnen sich aber auch gleichzeitig neue Möglichkeiten. Man hat z.B. ein Kind bekommen und hat viele neue sinnvolle und für den speziellen Moment nicht sinnvolle Wahlmöglichkeiten, das Kind betreffend. Das heißt, dass die Wahlmöglichkeiten von verschiedener Qualität sind, je nach dem, ob sie sinnvoll oder nicht sinnvoll sind. Durch die Verwirklichung wird die Möglichkeit zur Wirklichkeit.

 

Die Wahl, die jemand trifft, hat auf das Selbst und auf andere Menschen Wirkung. Deshalb sieht Frankl den Menschen als Mitgestalter der Welt. Es kommt auf jeden Einzelnen an! Ziel und Kunst zugleich ist es, unter den Wahlmöglichkeiten die sinnvollste herauszufinden.

 

 

Fallbeispiel: "Was willst du, du fette Sau?" Alex wird von anderen Kindern ausgelacht. Er ist mollig und kränkt sich immer, wenn er verspottet wird. Er fängt an zu weinen und fühlt sich hilflos.

 

 

1) Was ist mein Problem?

 

Ich bin nicht so toll schlank, wie die anderen! Ich habe das Gefühl, ich bin anders, als die anderen und das ist schlecht und hässlich.

 

Wir versuchen eine Eingrenzung des Problems im schicksalhaften Bereich, weil das Problem gewisse Grenzen hat und nicht den ganzen schicksalhaften Bereich betrifft. Das Erkennen, dass es viel in der Geschichte des Menschen gibt, das in Ordnung war, ist wichtig, da es die Fixierung auf den schwarzen Fleck (Problem) löst und die Person nicht mehr ins Leere schauen muss. Diese Fixierungen machen ohnmächtige Gefühle und sind oft Gründe für Krankheiten. Was ist dein mein Problem? Was kannst du besonders gut? Ich spiele gut Schlagzeug, singe gerne, habe viele Freunde, schreibe gerne lange Geschichten und bin ein guter Basketballer...

 

 

2) Wo liegen meine Freiräume?

 

Durch gezielte Fragen nach dem Arial, das von dem jeweiligen Menschen abhängt, in der jeweiligen Situation, werden Freiräume geöffnet. Meist vergisst man in einer problematischen Situation, dass man überhaupt Freiräume hat. Man kann etwas tun, und wenn man nur seine Einstellung zu einem Problem ändert. Eine der vielen Möglichkeiten wäre, zu schauen, wo das Problem herkommt. Bei dieser Frage geht es darum, die Fülle an Wahlmöglichkeiten zu spüren, ohne zu werten und auszuwählen. Es geht darum Wahlmöglichkeiten zu entdecken und zu finden, diese aufzulisten und zu beleuchten. Damit lockert sich auch die Fixierung auf den schwarzen Fleck.

 

Welche Möglichkeiten siehst du, auf diese Situation zu reagieren, wenn dich jemand verspottet? Ich kann hauen, weinen, ihn anschreien, ihn auslachen und sagen, dass er eine Bohnenstange ist. Ich kann so tun, als ob ich nichts gehört hätte. Ich kann petzen gehen. Ich kann so tun, als ob es mir egal wäre, .....

 

 

3) Welche Wahlmöglichkeit habe ich in dieser Situation?

 

Die Möglichkeiten werden bewertet mit Hilfe der bewertenden Instanz der geistigen Dimension des Menschen und dann wird eine ausgewählt. Es wird also die Wahlmöglichkeit gesucht mit der man auf den schwarzen Fleck antwortet. Frankl meint dazu: Wir sind nicht die Fragenden, wir sind die vom Leben gefragten, die Antwortenden in Verantwortung. Welche Möglichkeiten, die du aufgezählt hast sind gut und welche weniger gut?

 

Hauen: Da tu ich jemand anderen weh.
Weinen tu ich immer.
Ihn anschreien - da ärgere ich mich sehr...

 

Wenn du einmal ganz anders reagieren würdest, als sonst immer, vielleicht passiert dann alles ganz anders. Wie ist es mit dem Ärger? Du hast gesagt, du kränkst dich. Glaubst du, gibt es eine Möglichkeit, dich nicht zu ärgern oder gekränkt sein zu müssen? - Nein. - Du hast mir vorher ganz viele Dinge aufgezählt, in denen du gut bist. Du hast eine innere Stimme in dir, die dir sagt, dass du in Ordnung bist, so wie du bist. Kannst du sie hören? Wenn du diese Stimme hören könntest, immer wenn du verspottet wirst, würdest du keinen Ärger und keine Trauer mehr verspüren und du könntest sagen: "Na und, ich gefalle mir so, wie ich bin!" Jeder ist einzigartig und etwas Besonderes, auch du!

 

 

4) Welche Wahlmöglichkeit ist die sinnvollste?

 

(= die Frage nach dem Kompass) Eine ist die sinnvollste. Man reflektiert über die sinnvollste Möglichkeit, man spaziert quasi durch die Möglichkeiten am besten alleine in der Stille ohne Beeinflussung von außen. Bei Kindern ist es gut, sie bei dieser Fragestellung nicht alleine zu lassen, bzw. ein Rollenspiel mit ihnen zu machen, wo sie die Reaktionsweisen ausprobieren können.

 

 

5) Die will ich verwirklichen!

 

Die Verwirklichung ist viel wert und reichert das Leben an. Der Mensch ist mit sich zufrieden. Jede verwirklichte Möglichkeit verändert. Sie ist wie ein Tropfen, der ins Wasser fällt. Die Verwirklichung kann nur der Mensch selbst machen. Die Problemlösung funktioniert also dadurch, dass die Aufmerksamkeit auf das Problem genommen bzw. ignoriert wird und dass man sich versöhnt. So kann man das Problem loslassen.